22.04. ‐ 27.04.2025

Kill the Jockey

von Alexia Mavridou | am Tuesday 6 May 2025

Luis Ortega | 2024 | Spielfilm | Argentina, Denmark, Mexico, USA

Lichter Filmfestcritics blog

Der Jockey Remo Manfredini (Nahuel Pérez Biscayart) steigt auf ein Pferd, die Spannung steigt, der Schuss fällt und das Pferderennen geht los. Remos Pferd ist fix dabei, aber ohne seinen Jockey. Das ist Remo, berühmt und im Rausch gefallen. Der Jockey mit selbstzerstörerischen Tendenzen lebt für Drogen, Tanz und Abril (Úrsula Corberó). Sie ist Remos große Liebe und Konkurrenz. Sie beide erwarten ein gemeinsames Kind. Gleichzeitig existiert Remo nur für und wegen Sirena (Daniel Giménez Cacho). Er ist ein mächtiger Mafiaboss, der „Remo den Jockey“ kreiert hat und für das Ergebnis zahlt.

Doch eigentlich geht es in Kill the Jockey (Originaltitel: El Jockey) nicht darum. Luis Ortegas neunter Spielfilm, der 2024 für den Goldenen Löwen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig nominiert war, ist eine Geschichte, so fluide, dass sie nicht definiert werden will. Oder sonst zu viele Definitionen ergattert: ein Krimi, ein Drama, eine Komödie - ein argentinischer Film allemal.

Einen Entzugsversuch später muss Remo wieder antreten. Sirenas Druck auf den bekannten Jockey ist groß. Das interessiert Remo herzlich wenig. Das letzte Gespräch mit Abril hat nämlich Spuren hinterlassen. Um ihre Liebe wiederzugewinnen, soll der Jockey sterben und wiedergeboren werden, Abrils Worte. Remo steigt auf das neue eine Million teure Pferd, das Sirena extra aus Japan gekauft hat. Der Schuss geht los und der Jockey reitet wie der Blitz. Mit der Führung im Rennen scheint der Sieg so nah zu sein. Remo hat jedoch nur ein Ziel vor Augen: mit voller Geschwindigkeit auf die Stadionmauer zu, für die Freiheit. Die Folgen des Unfalls offenbaren, wer Remo wirklich war. Niemals er, immer sie: Dolores. Der Jockey ist tot, es lebe Dolores.

Der Regisseur und Drehbuchautor Ortega vereint den magischen Realismus mit drei Zutaten. Einem unvergesslichen Soundtrack, seiner wunderschönen Perspektive von Buenos Aires und Dolores faszinierender fluider Identität. Als Dolores endlich aus ihrem Gefängnis erwacht, bricht sie mit Pelzmantel und Wassermelonenkopf aus. Getrieben durch die Suche nach sich selbst flüchtet sie vor ihren äußeren Zwängen und Schulden. Vor allem vor der Figur Remo, die der kriminelle Sirena für sich nutzen will. Sie startet ihre eigene Revolution. Was bedeutet Gender? Was macht Identität aus? Wie lieben wir?

Mit Kill the Jockey hat Luis Ortega einen Film erschaffen, der gefühlt werden will. Er zeigt Dolores mit viel Mitgefühl, einem lachenden und einem weinenden Auge. Seltsam und komisch wie Almodóvar, und mit visuellen Kompositionen, die an Kaurismäki erinnern, rüttelt Ortega zärtlich alle Mauern unserer Welt auf, ganz unscheinbar und nur durch die Handlungen seiner Figuren. Dolores (aus dem Spanischen: Schmerz) ist eine Revolution gegen das heteronormative System. Ihr Name soll sanft an die Qualen erinnern, die sie erlitten hat. Schauspieler Nahuel Pérez Biscayart, bekannt aus dem mehrfach prämierten Film 120 BPM, brilliert in der Rolle als Dolores. Er wird eins mit ihr und lässt sie ohne viele Worte laut werden, indem er sich ihren wundersamen Erfahrungen hingibt.

Genau hier liegt die Magie des Films: Luis Ortega verlangt von uns, nicht Dolores oder ihre Geschichte zu verstehen. Wir sollen sie lieben, für den Menschen, der sie ist. Wird sie es schaffen, wiedergeboren zu werden? Kann sie Abrils große Liebe für immer wiedergewinnen? Wird sie sich von Sirena, Remo und dem Jockey befreien können? Und wird die lesbische Community endlich einen Film mit Happy End bekommen?

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