Boalândia
von Vanessa Lerch | am Saturday 26 April 2025

Der deutsch-brasilianische Dokumentarfilm „Boalândia“ der zwei Regisseure Patrik Thomas und Mathias Reitz Zausinger befindet sich in einem permanenten Limbo zwischen Fest und Protest. Es ist ein Film, der mit Kontrasten spielt, so beginnt er etwa mit Aufnahmen einer Hochhauslandschaft, nur um anschließend Szenen aus den Gebieten der indigenen Bevölkerung zu zeigen.
Leitfaden ist das Filmemachen und das Zeigen von Filmen als kulturelles Ereignis, aber auch als Begriff des Widerstands. Motiv der kulturellen Arbeit ist ein Aufschrei. Es ist ein „Hallo, wir sind hier, uns gibt es, auch, wenn ihr das in euren hohen Türmen vergessen wollt“. Thomas und Reitz Zausinger folgen verschiedenen filmkulturellen Organisationen, die Filme aus der Community entspringen lassen und/oder Kino an Orte bringen, wo schlichtweg kein Zugang besteht. Beispielhaft wäre das soziale Projekt „CDD Em Cena“ zu nennen, welches filmische Projekte mit und für die Gemeinschaft der Cidade de Deus umsetzt. Cidade de Deus ist ein Stadtteil von Rio de Janeiro, welcher nicht zuletzt durch den 2003 erschienenen gleichnamigen Film von Fernando Meirelles international für seine hohe Bandenkriminalität bekannt ist. Die Akteure des Films navigieren jedoch mit großer Selbstverständlichkeit durch die Favelas.
Nichtsdestotrotz sind soziale Missstände ein wichtiger Bestandteil von „Boalândia“. So fällt der Regierungswechsel 2022 in den Drehzeitraum, und der Film schlägt eine konkrete politische Richtung ein. Im Kampf zwischen Jair Bolsonaro und Lula da Silva beziehen die handelnden Personen klar Stellung und sprechen sich für den liberaleren Lula aus, erfüllt von der Hoffnung auf Veränderung. Dieser gewann die Wahl letztendlich auch. Ob nun tatsächlich die gewünschten Veränderung daraus entstehen, bleibt eine offene Frage.
Welcher Haltung die Filmemacher diesbezüglich sind, darauf lässt vielleicht schon der Titel schließen. „Boalândia“, eine Wortschöpfung, die sich recht frei mit „Schönland“ übersetzen lässt. Ist der Titel ein Hinweis auf ein erhofftes Utopia, oder doch etwa ein leicht zynisches Augenzwinkern? Die letzte Szene des Films lässt Zweiteres vermuten.
„Boalândia“ ist ein Film, der die Anliegen verschiedener Communities portraitiert und durch das Abwechlungsreichtum der Gemeinschaften stetig interessant bleibt. Das Handy ist ein Leitmotiv, das, regelmäßig wiederholt, für das Filmemachen mit den möglichen Mitteln steht. Sie haben eine Message, die sie transportieren wollen, und sie wählen Film als ihr Medium. Sie schaffen „Kommunikation von innen, nach innen“, wie es in „Boalândia“ heißt. Sie brauchen keine großen technischen Mittel, um sich Verhör zu verschaffen. So reicht das Bild einer transsexuellen Schauspielerin, die in der Favela die brasilianische Flagge im Dreck wäscht und ruft: „O amarelo é ouro, ouro roubado!“, also: „Das Gelb ist Gold, gestohlenes Gold!“. Das reicht, um der Frustration mit der Regierung und Kolonialgeschichte Brasiliens Raum zu geben.
Auch Kino wird gemacht, mit den Mitteln, die eben zur Verfügung stehen, wenn „Auf dem Platz vor der Kirche zeigen wir neue Filme“ wieder aus dem Radio tönt. Die Menschen folgen auf ihrem Kirchvorplatz, im Reservat, in der Favela oder im Quilombo (Wohnsiedlungen schwarzer Communities, die zur portugiesischen Kolonialzeit, durch Geflüchtete der Sklaverei entstanden sind) gespannt den neusten Produktionen ihrer Community. Häufig platziert auf dem alle Kulturen einenden „Monobloc“ Plastikstuhl, dem Hauke Wendler 2021 sogar einen eigenen Dokumentarfilm schenkte.
Es ist die Verbindung einer Liebe zum Film und dessen Nutzung, um auf soziale Missstände aufmerksam zu machen, die „Boalândia“ auszeichnet.