22.04. ‐ 27.04.2025

Hysteria

von Alexandra Schumacher | am Mittwoch, 23. April 2025

Mehmet Akif Büykataly | 2025 | Thriller | Deutschland

Lichter FilmfestKritiker Blog

Wir blicken aus der Vogelperspektive in ein Wohnzimmer. Auf dem Sofa sieht man jemanden schlafen. Wenige Sekunden später bricht aus nicht erkennbaren Gründen ein Feuer aus. Bereits diese erste, in der Ästhetik einer Überwachungskamera gedrehte Szene von Hysteria ist von Schockmomenten geprägt. Doch hier wird gar nicht die eigentliche Filmwelt, sondern eine brennende Kulisse an einem Filmset darstellt. Dies ist nur einer der vielen Momente in Mehmet Akif Büyükatalays zweitem Spielfilm, in dem vieles nicht so ist, wie es scheint. Nachdem der Brand der Filmkulisse gelöscht ist, finden drei Komparsen – allesamt mit Migrationsgeschichte – in einem der Schränke einen verbrannten Koran. Diese Tatsache wird die gesamte weitere Handlung überschatten.

Die junge deutsch-türkische Protagonistin Elif (Devrim Lingnau) ist Praktikantin bei den Dreharbeiten eines Films, der den rassistischen Brandanschlag von Solingen thematisiert – ein Attentat, bei dem Anfang der 90er Jahre fünf Mitglieder einer muslimischen Familie getötet wurden. Sie ist ambitioniert, aber auch sehr unsicher, sagt zu allem ja. Nach den Dreharbeiten soll sie zuerst die Komparsen zurück ins Flüchtlingsheim bringen, in dem sie wohnen, und danach die Filmkassetten mit den plötzlich heiklen Aufnahmen in dessen Wohnung bringen. Gehorsam macht Elif das alles – und doch geht etwas schief. Sie kann die Schlüssel zu Yigits Wohnung nicht finden, und muss daher den Schlüsseldienst anrufen. Auf ihre ausgehängten Zettel bekommt sie tatsächlich eine Whatsapp-Nachricht, in der sie dummerweise dem ominös-wirkenden Finder Yigits Adresse verrät. Danach ist jedoch ominös Funkstille, und der Titel des Films wird Programm.

Zu diesem Zeitpunkt ist aus Hysteria ein regelrechter Psychothriller geworden. Wir erwarten, dass sich jederzeit jemand zu Elif in die Wohnung schleicht. Die Handlung spitzt sich immer weiter zu, als sich plötzlich auch noch herausstellt, dass die Filmkassetten verschwunden sind – Elif findet sich schon bald in einer Welt wieder, wie sie Hitchcock kreiert haben könnte. Nicht zuletzt dank der gruseligen Aufnahmen von Elifs Laptop-Überwachungskamera, die wiederum an Lynch's Lost Highway erinnern – Hysteria ist ein kleines Meisterwerk voller Plot-Twists.

Doch der eben beschriebene Psychoterror, dem die Protagonistin ausgesetzt ist, ist nur ein Symptom von etwas Größerem, das der Film ansprechen möchte. So sehen wir Videoausschnitte, in denen ein dänischer Politiker öffentlich den Koran verbrennt, und die wütenden Aufstände seitens der islamischen Community. An einer anderen Stelle wird auf Charlie Hebdo verwiesen. Die eigentliche Debatte, die sich in Hysteria abspielt, ist die der Kunstfreiheit – und ihrer Grenzen.

Noch dazu wird auch uns ein Spiegel vors Gesicht gehalten: Mustafa (Aziz Çapkurt), einer der Komparsen und mitunter Yigits größter Kritiker, sagt einmal, Yigits Film wolle nur das Gewissen der westlichen Welt beruhigen. Diese Aussage kann man eigentlich nur schlecht ignorieren, weil wir uns hier doch ein wenig ertappt fühlen. Schauen wir nicht oft genug Filme, in denen gesellschaftspolitische Missstände thematisiert werden, um nach einer 90-minütigen Mitleids-Tour de Force wieder in unser behütetes, privilegiertes Leben zurückzukehren? Nicht zuletzt werden in Hysteria auch die leider noch immer weit verbreiteten Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte thematisiert, z.B. wenn Yigits Partnerin Lilith (Nicolette Krebitz) in einem Streit mit Mustafa ganz nonchalant „euch würde doch eh keiner glauben“ an den Kopf wirft, und wir uns leider eingestehen müssen: Wahrscheinlich hat sie sogar recht.

Facettenreich, spannend und komplex: Hysteria ist ein Film, der geschickt die Elemente des Thrillers mit der Frage nach Kunstfreiheit in einer Demokratie vereint, und dabei keine einfachen Antworten parat hält.

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