Der Fleck
von Moses Erstling | am Dienstag, 29. April 2025

Es rauscht, es dröhnt, unscharf und wackelig fallen wir ins strömende Wasser. Und dann ist es wieder still, blaue Augen starren aus grünem Gestrüpp. In Willy Hans’ ersten Langfilm Der Fleck wird vorausgesetzt, dass diese Sprünge als Teil des fließenden Narrativs angenommen werden. Die blauen Augen gehören zu Simon (Leo Konrad Kuhn), einem jugendlichen Schulschwänzer, der vom Sportunterricht flieht, eher mäandert und sich nach einem Treffen mit einem alten Klassenkameraden in dessen Auto wiederfindet.
Es geht an “den Fluss”, der unspezifisch bleibt, ein Fleck eben, an dem diese Geschichte spielt. Der Filmtitel wird hier aber auch doppeldeutig verwendet, möchte nicht nur dieses Gefühl eines Ortes einfangen, sondern auch den Fleck auf Simons weißem T-Shirt beschreiben. Eine Störung, Irritation, die den Blick auf sich lenkt und nicht gern gesehen ist.
Simon sitzt also dort, unter Menschen, die er nicht kennt, als Anderer, Außenseiter, Fremder unter Freunden. Die aber alle seltsam unwirklich wirken, so als kannten sie sich nicht richtig, als hätten sie eigentlich gar keine Lust. Diese Lethargie prägt die Szenen am Fluss und bringt auch einen absurden Humor mit in den Film. Wer sind diese Jugendlichen, die verliebt, befreundet, und zerstritten sind? Es bleiben Figuren, die wie mit Bleistift gezeichnet scheinen, schnell und schemenhaft entworfen, nicht ganz zu Ende gedacht. Selbst der Protagonist Simon, der die Erzählung hinter sich herzieht, die Kamera mit sich mitnimmt, als schaue sie aus seinen Augen, wirkt wie eine Karikatur.
Ist er mit Absicht als etwas dümmlich, kindlich porträtiert? Oder wirkt es nur so durch den sehr erwachsen aussehenden Schauspieler? Will Hans mit der engen Verwobenheit Simons mit der Natur, den Büschen, dem Gestrüpp, zwischen dem er in so vielen Momenten steht, als fielen ihm die Zweige und Blätter gar nicht auf, eine Kategorie des naturnahen Naiven aufmachen? Der ungeschickte Junge, der durch seine fehlenden sozialen Fähigkeiten, seine Andersartigkeit den Tieren näher ist und vielleicht gar nicht in diese Welt gehört?
Es bleiben unbeantwortete Fragen, denn Marie (Alva Schäfer) erscheint, und der Film wandelt sich in einen Versuch, das Gefühl jugendlicher Sommercrushes einzufangen. Die zwei wandern umher, immer am Fluss, dann an der Autobahn für eine Portion Pommes, und mitten im Wald, das Rauschen ein ständiger Begleiter. Es ist heiß und feucht, erdrückend und durstig machend, ein klassischer Sommertag.
Hier zeigt sich die Stärke des Filmemachers, ein Gefühl zu vermitteln: von Schwerelosigkeit, vom sich treiben Lassen und Unsicherheit, vorsichtigem Herantasten. Die Freunde existieren nur noch über Anrufe, “wo bleibt ihr denn?”, doch Marie und Simon kümmert das wenig. Es bleibt unersichtlich, wieso die beiden in einer plötzlichen Symbiose miteinander die Zeit totschlagen und mehr und mehr mit der Natur verschmelzen. Es ist eine schöne Vorstellung, die Idee, dass die beiden tiefer in die wachsende Wildnis um sie herum eintauchen. Wie in den Fluss, in den sie, verschwitzt und erhitzt, schließlich springen. Und der immer mehr anschwillt und mit einem Sommergewitter unerwartet an Stärke gewinnt und alles um sich mitreißt. Die Wirklichkeit tritt in den Hintergrund und das grüne, tropfende, zitternde Gewächs wird in den Fokus genommen.
“Das Narrativ wird experimentell weitererzählt”, sagte Willy Hans im Filmgespräch, und macht damit seine Intention hinter diesen magisch-träumerischen Momenten klar. Doch leider gelingt dem Filmemacher dieses fließende Weiterspinnen nicht; die Brüche sind hart und reißen aus der Erzählung heraus. Fast wirkt es, als hätte es ein Konzept für zwei sehr unterschiedliche Filme gegeben, die dann zusammengeschnitten wurden: ein magisch-experimenteller und ein trocken-humorvoller, der sich am Realismus versucht. Die dröhnend laute Musik trägt eher dazu bei, noch mehr zu irritieren, als sich in dieser Welt einzufinden.
Trotzdem schafft Willy Hans sehr schöne Bilder mit seinem 16mm Film, die die Natur gekonnt in Szene setzen. Er nutzt seinen Hintergrund aus dem künstlerisch experimentellen Bereich, um Einstellungen zu wagen, die man vielleicht nicht so gewohnt ist. Und malt ein bewegendes Ende, das ein nachvollziehbares Gefühl hinterlässt: Die Rückkehr in die Realität durch die Kühle der Nacht nach einem Tag in sommerlicher Trance.