To Kill a Mongolian Horse
von Moses Erstling | am Freitag, 2. Mai 2025

Das Gesicht seines Vaters spiegelt sich im Fenster, vor dem Saina steht. Der Vater sieht ihn an, aber Saina schaut nicht zurück, sondern starrt in den Schneesturm, der draußen tobt. Dann tritt der Vater nach vorn, neben seinen Sohn, wird aber nicht vom schwachen Licht getroffen: er ist eine Schattenfigur. Der Schatten seines Sohnes, der ihn nicht abschütteln kann? Und eine Spiegelung, ein Zeichen dafür, dass sein Sohn später genauso enden wird wie sein Vater?
Diese Szene steht beispielhaft für die ausdrucksstarke Bildsprache, die sich durch den ersten Langfilm To Kill a Mongolian Horse der mandschurischen Regisseurin Xiaoxuan Jiang zieht. Im unwirschen Grasland der Inneren Mongolei, einer autonomen Region Chinas, in der sie aufwuchs, traf die Regisseurin auf den Pferdehirten Saina. Er übernimmt die Hauptrolle im Film und spielt eine fiktive Version seiner selbst: einen Mann, der sich mit Arbeit in Pferdeshows und bei Touristenspots oder den Verkauf seiner letzten Schafe über Wasser hält. Einen Mann, der zwischen der Stadt und dem Land hin- und herpendelt. Zwischen seinem Sohn, der bei seiner Ex-Frau lebt, und seinem Vater, einsam in der Steppe.
Sainas Leben ist hart, es ist kalt dort draußen. Die Konflikte häufen sich: mit seiner Ex-Partnerin, seinem Vater, aber vor allem sich selbst. Er kämpft innerlich mit den täglichen Widersprüchen seines Lebens. Wie soll er seinem Sohn die mongolische Identität vermitteln, die er hat? Eine Kultur, eine Sprache, Traditionen? Das Reiten? Soll er seine Pferde verkaufen, die doch so symbolisch dafür stehen, wer er ist, aus welcher Kultur er kommt? Soll er in den für Touristen inszenierten Shows, die die “Geschichte der Mongolen” zeigen, als Krieger durch den Staub reiten, obwohl es eine Fetischisierung seiner eigentlichen Herkunft ist?
Der Film macht in seiner 98-minütigen Laufzeit viele unerschöpfliche Themen auf, die er den Zuschauer:innen zum Nachdenken mit nach Hause gibt: Klimawandel, Landflucht, generationelle Traumata. Episodisch wird mit Szenen aus seinem Leben die Geschichte Sainas erzählt, dessen Verzweiflung immer mehr zu spüren ist; in seinem Gang, in seiner Haltung. Er wird ruhiger, spricht weniger, ist ständig angespannt. Man begleitet ihn durch die kalte Landschaft, durch die bunt ausgeleuchtete Manege der Pferdeshows, auf den Spielplatz, zu Höfen, auf denen Pferde für die Schlachtung vorbereitet werden.
Es ist trist, aber wird nicht langweilig. Es ist ruhig, aber zieht sich nicht. Die Bilder rauben den Atem: träumerisch-magische Pferdeshows, die mit bunten Lichtern in Szene gesetzt werden. Der beißende Schnee, der über weite Flächen peitscht, dass man die Kälte fast zu spüren glaubt. Die Farben der Kostüme, der traditionellen Kleidung in Kontrast zu den grauen Arbeitsklamotten.
Sainas Leben, vielleicht auch, weil es an seine Realität angelehnt ist, wirkt glaubhaft und wiegt damit besonders schwer. Die Kommerzialisierung seiner Kultur, die ihm zwar Arbeit gibt, aber sich nicht richtig anfühlt, weil er als Mongole trotzdem schrecklich behandelt wird, wird immer wieder thematisiert. Im Verlust seiner Tiere schwingt auch die Trauer über den Verlust seiner Kultur mit. To Kill a Mongolian Horse bedeutet nicht nur den grausamen Akt des Tötens eines Tieres an sich, sondern das Töten von jahrhundertelangen Traditionen. Es beschreibt, wie der Imperialismus Sprache, Werte und Menschen ungeachtet unter sich zerdrückt, einfach so.
Es wird kein gutes Ende zu dieser Geschichte geben. Nur vielleicht die gute Nachricht, dass sie erzählt wird.