The New Year That Never Came
von Moses Erstling | am Freitag, 2. Mai 2025

“Nur einen Funken braucht es, damit ein Feuer ausbricht”, murmelt der Arbeiter. Er blickt nach vorne auf die Bühne, starrt mit harten Augen auf den Diktator, der dort steht. Was kann dieser Funke sein? Oder wer? In Bogdan Mureșanus erstem Langfilm The New Year That Never Came flackern Streichhölzer, zünden Feuerzeuge, brennen Gasherde. Doch es ist etwas tief in den Menschen, das lodert und das schließlich das Feuer entfacht.
Der Film folgt sechs Protagonist:innen, die im sozialistischen Bukarest von 1989 wohnen und auf die eine oder andere Weise miteinander verbunden sind. Da ist der Fernsehregisseur (Mihai Călin), der eine patriotische Neujahrsshow produzieren soll. Der verzweifelt eine neue Schauspielerin sucht, die mit viel Pathos dem Diktator Nicolae Ceaușescu dankt, weil die eigentliche Kandidatin in den Westen geflohen ist.
Da ist der Sohn des Regisseurs (Andrei Miercure), der genau das versucht, zu fliehen, durch die Donau hindurch. Die schließlich ausgewählte Theaterschauspielerin (Nicoleta Hâncu), die mit allen erdenklichen Mitteln Wege sucht, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Ein einfacher Arbeiter (Adrian Văncică), dessen Sohn einen unschuldigen Brief an den Weihnachtsmann geschrieben hat, der ihm das Leben kosten könnte. Ein Angestellter des Geheimdiensts Securitate (Iulian Postelnicu), dem alle Fäden entgleiten, weil er niemandem wirklich trauen kann. Und seine Mutter (Emilia Dobrin), die umgesiedelt werden soll und sich mit allen Fasern dagegen sträubt.
Es sind Charaktere, die nicht stellvertretend für eine Gruppe stehen, sondern so wunderbar unterschiedlich und individuell gezeichnet sind, dass jede einzelne Geschichte fesselt. Der Film springt schnell von Person zu Person, Szene zu Szene, manchmal schon nach wenigen Minuten. Doch es führt nicht zu Orientierungslosigkeit. Stattdessen ist man froh, wieder die nächste Person zu sehen. Man erwartet gespannt, wie es wohl weitergeht, wie die Zwickmühlen und scheinbar unlösbaren Konflikte und Probleme doch aufgelöst werden.
Gefilmt wird mit wackeligen Kameraufnahmen, schnellen Zooms, die einer Dokumentation ähneln, oder The Office, obwohl dieser Vergleich falsch wirkt. Diese Art zu filmen schafft Unruhe und wirkt künstlich, zerstört mit einem plötzlichen Zoom manchmal emotionale Momente. Es lässt sich aber über die bestimmt gut begründete Kameraführung hinwegsehen, weil doch alles andere an diesem Film so schlüssig ist. Voller Ernsthaftigkeit und Individualität spielen die Schauspieler:innen die Charaktere, dass auch die absurd komischen Szenen tiefer wirken. Sie tragen die Geschichte, man fiebert mit ihnen, lacht in eigentlich verzweifelten Momenten, weil diese Diktatur, die alles durchdringt, eigentlich so lächerlich ist.
Mureșanu schafft es gekonnt, die historischen Ereignisse vor dem Zerfall der Ceaușescu Diktatur nicht nur beeindruckend in Szene zu setzen, sondern eine emotionale Bindung zu den Menschen dieser historischen Zeit aufzubauen. Menschen, die in jeder Situation aufpassen, was sie zu wem sagen. Die verzweifelt sind, am Ende ihrer Kräfte, weil das System sie erdrückt. Dieses System, das immer mehr Kontrolle und Überwachung braucht, weil seit Monaten aufbegehrt wird und das Ende eigentlich nicht mehr aufzuhalten ist. Ein System, das sich durch seine Angst vor seinen Bürgern von innen zerfrisst.
Es ist ein Film, der von Anfang bis Ende mitreißt, weil mit Spannung erwartet wird, was man schon weiß. Der Weg dorthin, und die Menschen, deren Schicksale damit verbunden sind, ist bewegend real erzählt. Der Schluss ist ein sagenhaft orchestriertes Zusammenkommen aller Erzählstränge zur Ravels „Boléro“, der die wachsende Anspannung im Finale endlich zum Explodieren bringt.
Am Ende reichen ein paar Knallfrösche, um die Diktatur zu stürzen.